Wie alles begann
Mit Jürgen Scharfe in Schmirma

An einem warmen Herbsttag 1994 fuhren wir, Kristina Bake und ich, mit Jürgen Scharfe nach Schmirma, um uns die Deckenbilder Karl Völkers in der Dorfkirche anzusehen. Die architekturbezogenen Arbeiten des Künstlers waren für den Kunsthistoriker ein wichtiges Thema, auf das er seit unserer ersten Bekanntschaft im Jahr 1988 immer wieder zurückkam. Im April 1992 hatte er uns die bemerkenswert leichte Kuppelausmalung der Kirche in Schwenda (1938) gezeigt. In Schmirma waren wir überrascht, wie geschlossen diese Bilderfolge wirkte, wie sehr sie mit ihrer suggestiven Farbigkeit den ganzen Raum bestimmte. Das Preußischblau von Himmel und Wasser war einfach – umwerfend schön. Später besprachen wir bei einem Glas Federweißer irgendwo in der Nähe das Nötige. Unverkennbar war der schlechte Zustand dieser Leinwandgemälde, die offenbar vor allem unter den Folgen des undichten Daches gelitten hatten: Wasserränder, Leinwandlöcher und starke Verschmutzungen waren bereits von unten, noch deutlicher von den Emporen aus zu erkennen. Jürgen Scharfe erhoffte sich bei dieser Fahrt nach Schmirma meinen Rat als Restaurator. Sein Plan war es, die Bilder restaurieren zu lassen und vor ihrer Wiederanbringung in Halle, Karl Völkers Heimatstadt, auszustellen. Allerdings hatte ich keine Erfahrung mit Großformaten und hätte einen solchen Auftrag auch wegen meiner Arbeit am Museum nicht übernehmen können. Mir fiel aber meine Kommilitonin Uta Matauschek in Dresden ein, deren überlegte, umsichtige und innovative Arbeitsweise ich immer bewundert hatte. Sie war in zweifacher Hinsicht für diesen Auftrag prädestiniert: Sie hatte bei Völkers Freund und zeitweiligem Kollegen, dem Restaurator Fritz Leweke, gearbeitet und war an der Restaurierung großformatiger Leinwandbilder an der Decke beteiligt gewesen.

Uta Matauschek kam gern meiner Bitte nach, sich den Zustand der Bilder anzusehen – wie die meisten war sie sofort von deren Qualität und Einzigartigkeit überzeugt, als wir die Kirche gemeinsam im Sommer 1995 besuchten. In einem ersten vorläufigen Gutachten vom September schätzte sie den Schadensumfang ein und schlug vor, zunächst das am stärksten geschädigte Bild zu restaurieren und die dabei gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlage eines Restaurierungskonzepts für die gesamte Decke zu machen.[1] [Uta Matauschek: Begutachtung der Deckengemälde von Karl Völker in der Dorfkirche Schmirma bei Mücheln (Sachsen-Anhalt), Dresden, 20. November 1995, Archiv Karl-Völker-Initiative]Die für diesen ersten Schritt erforderliche Summe schätzte sie auf 11.000 DM, wovon die Gemeinde damals 10.000 bei der Unteren Denkmalschutzbehörde in Merseburg beantragen und 1000 DM als Eigenanteil hätte aufbringen müssen. Der zuständige Dezernatsleiter im Regierungspräsidium Halle, Hans-Georg Sehrt, war sich der Bedeutung der Völkerschen Bilder bewusst und stellte auf Anfrage [2] [Albrecht Pohlmann an Hans Georg Sehrt, Halle (Saale), 7. November 1995, Archiv Karl-Völker-Initiative]die geforderten Mittel ohne Weiteres in Aussicht. Leider scheiterte dieser erste Anlauf daran, dass der nötige Eigenanteil von der Gemeinde nicht so schnell aufzubringen war – seit DDR-Zeiten hatte es einen Reparaturstau in der Kirche gegeben, und Maßnahmen wie die Erneuerung der Elektrik hatten zunächst Vorrang vor der Restaurierung der Bilder.

Zum Glück ließen sich weder die Schmirmaer noch alle anderen von ihrem Ziel abbringen und betrieben die Angelegenheit hartnäckig weiter. Uta Matauschek legte 2000 einen umfassenden Bericht ihrer Voruntersuchungen samt Kostenvoranschlag vor [3] [Uta Matauschek: Kirchenraumgestaltung von Karl Völker, 1921 […], Protokoll zu den Voruntersuchungen hinsichtlich notwendiger Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten – Kostenvoranschläge, Dresden, September 2000, Archiv Karl-Völker-Initiative], der die Grundlage aller späteren, modifizierten Restaurierungskonzepte bildete. Es brauchte schließlich noch ein Jahrzehnt, ehe die ersten beiden Gemälde von ihr und Sybille Kreft restauriert werden konnten.

Bekanntlich hat der Erfolg viele Väter (und Mütter), und nach Jürgen Scharfes Tod haben sich sehr viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Beiträgen an der Erhaltung der Kirche und der Deckengemälde beteiligt. Es bleibt aber sein Verdienst, den bedenklichen Zustand früh erkannt und den entscheidenden Anstoß zur Restaurierung gegeben zu haben. Dies war kein Zufall – Jürgen Scharfe war ein Kenner der Moderne im ehemals mitteldeutschen Raum, wie es wohl kaum einen zweiten gab (und darüber hinaus ein international geachteter Experte für das Werk El Lissitzkys, dessen erste DDR-Ausstellung er 1982 in der Moritzburg kuratierte). Sein Gespür für künstlerische Qualität war dabei untrüglich. Angesichts der staatlich zugerichteten Kulturpolitik lebte er für sich in dieser Welt der Moderne, seiner Gegenwelt. Er hatte über viele Jahre tiefgehende Archiv- und Literaturstudien betrieben und eine akribisch geordnete Materialsammlung angelegt, aus der er für seine seltenen Veröffentlichungen äußerst fundierte, informationsgesättigte Beiträge schöpfte. Mit ihm durch Halle zu spazieren war immer ein lehrreiches Vergnügen – er kannte alle Bauten und Architekturdetails der Moderne, die damals häufig nur im Verborgenen zu finden waren, spätere Überformungen oder Verwahrlosung hatten sie unscheinbar gemacht (inzwischen ist vieles davon abgerissen worden). Als Gesprächspartner fehlt er mir sehr. Da er nicht bereit gewesen war, sich den kulturpolitischen Vorgaben der DDR anzupassen, war ihm eine seinen Fähigkeiten und seinem Wissen angemessene Anstellung verwehrt geblieben. Nach der friedlichen Revolution von 1989 schien seine Zeit endlich gekommen zu sein – er konnte nun darangehen, zahlreiche seiner lang gehegten Projekte zu verwirklichen. Sein Rat als Experte wurde geschätzt, etwa bei der Restaurierung des AOK-Gebäudes am Robert-Franz-Ring in Halle, einem exemplarischen Bau der Moderne von Martin Knauthe, jenem Architekten, mit dem Karl Völker mehrfach zusammengearbeitet – und dem Jürgen Scharfe eine umfassende Diplomarbeit gewidmet hatte.

Nach Ausbruch seiner schweren Erkrankung 1994 wurde ihm klar, dass er vieles, was er angefangen hatte, nicht mehr würde vollenden können. Einige Freunde betraute er mit der Fortführung seiner Projekte, wir erhielten den Auftrag, die Restaurierung der Schmirma-Bilder in die Wege zu leiten. Seitdem sind zwanzig Jahre vergangen, viele Menschen haben sich für dieses Vorhaben eingesetzt, staatliche und private Institutionen haben es finanziert. Schade, dass Jürgen Scharfe dies nicht mehr erleben konnte.

Albrecht Pohlmann

Albrecht Pohlmann ist leitender Restaurator des Kunstmuseums Moritzburg in Halle und hat, gemeinsam mit Jürgen Scharfe, früh auf den Restaurierungsbedarf aufmersam gemacht und so den Stein ins Rollen gebracht.

Der Text entstammt der Kleinen Festschrift, die 2014 anlässlich der Rückkehr der restaurierten Deckengemälde in die Dorfkirche erschienen ist.

Spenden

Wir freuen uns über Ihre Spende zur Restaurierung der von Völker Anfang der 1920er Jahre neugestalteten Holzeinbauten der Schmirmaer Kirche: der Altarwand, des Kirchengestühls und der Empore!

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